Mit Gefühl telefonieren

Emodiversität – jede Menge Gefühle

Emodiversität – jede Menge Gefühle

Vermutlich sagt Ihnen der Begriff Biodiversität etwas. Gerade in der Diskussion um Nachhaltigkeit und Klimawandel fällt er immer wieder. Biodiversität beschreibt die Fülle unterschiedlicher Lebensformen in einem bestimmten geografischen Gebiet. In einem Ökosystem greifen zahlreiche Prozesse ineinander und Artenreichtum ist in der Regel ein Zeichen für ein gesundes System.

Ein Psychologenteam um den Wissenschaftler Jordi Quoidbach von der ESADE Business School[1] in Barcelona prägte in Anlehnung daran den Begriff „Emodiversität“, der die Vielfalt der Gefühle bezeichnet, die ein Mensch empfinden kann. Dabei kamen die Forscher zu dem Schluss, dass insbesondere Menschen, die eine Vielzahl positiver Empfindungen auch in Nuancen unterscheiden können, zumeist psychisch stabiler, also resilienter sind als solche, die nicht über diesen Variantenreichtum an schönen Gefühlen verfügen. Auch ein amerikanisches Forscherteam um Todd Kashdan von der George Mason University[2] stellte fest, dass Personen mit einer hohen Emodiversität besser mit schwierigen Lebenssituationen umgehen können und darauf weniger mit selbstzerstörerischem Verhalten wie Alkoholismus und Aggressivität reagieren. Das gilt offensichtlich auch für die körperliche Gesundheit, wie der Entwicklungspsychologe Anthony Ong von der amerikanischen Cornell University[3] bestätigte. Psychologen sprechen hier auch von „Psychoneuroimmunologie“. Probanden, die in Untersuchungen auf eine Bandbreite von Gefühlen ansprechen, entwickeln offenbar eine Art von Immunität gegenüber psychischen und körperlichen Leiden, was sich etwa an Markern für Entzündungen im Körper zeigte. Dabei geht es vor allem um die Vielfalt an positiven Gefühlen wie Liebe, Begeisterung oder Zufriedenheit, die Wirkung einer großen Zahl von negativen Empfindungen wie Wut oder Schmerz, ohne die ja auch niemand auskommt, ist noch umstritten. Für den Spanier Quoidbach wirken sich auch vielfältige negative Gefühle eher positiv auf die Gesundheit aus, es geht hier um die Fähigkeit, Gefühle generell bei sich und anderen intensiv wahrzunehmen. Das konnte aber noch nicht unabhängig bestätigt werden. Möglicherweise ist eine Fülle negativer Emotionen die Folge vieler problematischer Erlebnisse und wirkt sich insbesondere bei psychisch labilen und depressiven Menschen negativ aus, wohingegen solche Gefühle bei gesunden Menschen eine geringere Rolle spielen. Bei ihnen wirken wohl vor allem angenehme Gefühle stärkend auf das Immunsystem.

Die wissenschaftliche Diskussion um Emodiversität ist in vollem Gange und lange nicht abgeschlossen. Aber vieles spricht dafür, dass emotional vielfältige Menschen nicht nur gesünder und psychisch stabiler sind, sondern auch persönliche und politische Konflikte realistischer einschätzen und überhaupt mit Herausforderungen besser umgehen können. Psychologen sprechen hier auch vom Zusammenhang der Emodiversität mit „weisem Denken“ (etwa der kanadische Wissenschaftler Igor Grossmann).

Aus meiner langjährigen Erfahrung als Telefontrainerin kann ich bestätigen, dass Teilnehmer, die in der Stimme hörbar positive Gefühle offenbaren (etwa Fröhlichkeit), sowohl andere Menschen positiv damit „anstecken“ als auch schwierige Gespräche wie Reklamationen leichter meistern. Treten umgekehrt in einem Telefongespräch beim Gegenüber negative Empfindungen zutage, kann dies ein erstes Indiz sein, dass diese Menschen als Kunden tendenziell wechselbereit und wenig loyal sind oder auch zu unethischem Verhalten (beispielsweise unfairen Verhandlungen, die in Richtung Preisdumping gehen) neigen. Wenn das Telefon also Ihr Arbeitsgerät ist, sollten Sie sich in Emodiversität schulen, da die differenzierte Wahrnehmung des Gesprächspartners wesentlich ist, um den anderen richtig einzuschätzen und natürlich auch, um zum Abschluss zu gelangen. Emotionale Diversität können Sie trainieren, indem Sie gezielt auf Ihre Gefühle in bestimmten Situationen achten und auch mit anderen darüber sprechen. Ferner bieten kulturelle Erlebnisse wie das Anschauen von Filmen und das Lesen von Büchern vielfältige emotionale Anreize, die Sie für sich nutzen können.

[1] Jordi Quoidbach u. a.: Emodiversity and the emotional ecosystem. Journal of Experimental Psychology: General, 143/6, 2014. DOI: 10.1037/a0038025

[2] Eva Tenzer: Alle meine Gefühle. In: Psychologie heute, 10/2020, S. 74

[3] Eva Tenzer: Alle meine Gefühle. In: Psychologie heute, 10/2020, S. 74

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